Wenn Geld über Gesundheit steht

ALEXANDER KALES

„That must have really cost you something“, sagt die Frau, die – wie ich – auf den Beginn der Führung durchs Art Institute of Chicago wartet. Über meinen Mundschutz sind wir ins Gespräch gekommen und schließlich bei meiner Lungentransplantation gelandet. Das muss ganz schön ins Geld gegangen sein – ist ihr erster Gedanke, nachdem ich den Grund meiner Maskerade erläutert habe. Und es ist, im Kontext des US-Gesundheitssystems, wohl der naheliegendste.

Wenn in den amerikanischen Lokalnachrichten über Wartepatient:innen berichtet wird, dann häufig verbunden mit einem Spendenaufruf: nach finanzieller Unterstützung, wohlgemerkt, und nicht nach höherer Bereitschaft zur Organspende. Denn zwischen San Diego und New York ist eine Transplantation nicht zuletzt: ein Kostenrisiko. Dafür sorgt, dass längst nicht alle Krankenkassen medizinische Leistungen vollständig bezahlen. Im Transplantationszentrum der renommierten Standford Medical School ist daher eine Finanzberatung ein Teil der Listung; bei Kosten von rund 1,5 Millionen Dollar für eine Herztransplantation kein abwegiges Konzept – und Symbol für ein Gesundheitswesen, das sich vor allem als Wirtschaftszweig versteht.

Doch auch in Deutschland schreitet die Ökonomisierung in diesem Sektor voran. Zwar nehmen sich die rund 150.000 Euro, die eine Lungentransplantation als teuerster Eingriff hierzulande die Krankenkassen kostet, vergleichsweise bescheiden aus. Dass die Versicherer in diese Summe jedoch auch sämtliche „Nacharbeiten“ des Klinikums für die ersten sechs Monate nach der Operation hineinverhandelt haben, zeigt eines unmissverständlich: Die Gesundheit von Patient:innen ist vielleicht nicht primär, aber in zunehmendem Maße auch eine buchhalterische Größe.

Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens – das ist eine Entwicklung, vor der Thomas Strohschneider warnt. Der Facharzt für Allgemein- und Gefäßchirurgie arbeitete acht Jahre als Chefarzt eines Krankenhauses, das von einem großen Klinik-Konzern geführt wurde. Diese gewinnorientierten Unternehmen stellen eine immer bedeutendere Größe neben den ursprünglichen Klinik-Betreibern dar: öffentlichen Trägern wie Städten und Bundesländern oder freigemeinnützigen Trägern wie Kirchen oder karitativen Organisationen.

Deren teils hoch verschuldete Hospitäler kaufen die Klinik-Konzerne seit einigen Jahren im großen Stil auf und führen sie im Rahmen der gesetzlichen Gesundheitsversorgung – also mit Zulassung auch für reguläre Kassenpatient:innen – weiter. Das Versprechen dabei: Nicht nur die Gewinne sollen steigen, sondern auch Behandlungsqualität und Patientenzufriedenheit. Die Wirklichkeit jedoch, so Thomas Strohschneider, sei häufig eine andere. In seinem 2022 erschienenen Buch Krankenhaus im Ausverkauf: Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit (Westend) zeigt er schonungslos die Nebenwirkungen einer Gewinnorientierung in der Medizin auf; einer Medizin, die in Patienten vor allem Kunden sieht – mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen.

Dabei liest sich das Buch zu keiner Zeit wie eine Abrechnung. Es eine aufklärende Warnung, die Thomas Strohschneider vor allem an Patient:innen richtet. Der Form ist dies auf angenehme Weise anzumerken: Trotz fachlicher Tiefe bleibt die Sprache verständlich, komplexe Sachverhalte werden mit eingängigen Beispielen illustriert, oftmals in Folgekapiteln weiter vertieft. So bekommen Leser:innen einen ebenso tiefen wie umfassenden Einblick in das titelgebende Krankenhaus im Ausverkauf.

Wieso Transplantierte, Wartepatient:innen und ihre Angehörigen das Buch lesen sollten? Weil es sensibel macht für die Entwicklungen, die derzeit außerhalb der heilen Welt der Transplantationszentren stattfinden, in denen die Betriebswirtschaft (noch) nicht das Sagen hat; in denen also keine Gewinne erwirtschaftet werden müssen und folglich hoch spezialisierte, aber teure Therapien möglich sind, weil Verluste mit Steuergeldern ausgeglichen werden.

Wenn diese Defizite jedoch Rendite kosten, dann wird der Bleistift zunehmend spitzer – mit, so Thomas Strohschneider, teilweise dramatischen Folgen Patient:innen: Dann nämlich richten sich Entlassungszeitpunkte und Behandlungsmethoden in letzter Konsequenz nicht mehr nach dem medizinisch Gefordertem, sondern dem unternehmerisch Sinnvollsten.

Wie groß der Einfluss von Finanz und Controlling vielerorts inzwischen ist, beschreibt der Autor eindrücklich: Da werden Abteilungen, die für eine adäquate Versorgung notwendig sind, aber schlecht für die Bilanz, von einem Tag auf den anderen geschlossen; da werden Chefärzt:innen mit drastischen Gehaltskürzungen für ethisches Verhalten bestraft; und Nachwuchs-Chirurginnen sitzen mehr am Schreibtisch, als sie ihm OP stehen, weil Lern-Operationen unter Anleitung erfahrener Oberärzt:innen schlicht zu teuer sind. Einmal zu lesen begonnen, legt man das Buch nicht mehr aus der Hand. Was Thomas Strohschneider beschreibt, ist keine düstere Zukunftsvision, sondern mancherorts längst Tagesgeschäft. Das müssen wir als Betroffene im Auge behalten. Denn Gesundheit ist zu wertvoll, um zu teuer zu sein.

Thomas Strohschneider: Krankenhaus im Ausverkauf: Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit Broschiert, 240 Seiten Verlag: Westend ISBN: 3864893712 Preis: 18,00 Euro
Krankenhaus im Ausverkauf ist auch als Hörbuch unter ISBN 3954718707 erschienen und kostet 17,95 Euro. Ebenfalls sind Ebook-Ausgaben erhältlich.