Eine wichtige Option: Nierentransplantate aus der Rescue Allocation

Prof. Dr. Volker Aßfalg

Organspende und Nierentransplantation im internationalen Vergleich
Der Vergleich der Organspendezahlen zwischen den Eurotransplant (ET) Mitgliedstaaten Deutschland, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn zeigt einen folgenschweren Unterschied in den Organspenderzahlen zwischen den Ländern: mit nur ca. 10,3 postmortalen Organspendern pro eine Million Einwohner pro Jahr ist Deutschland seit Jahren absolutes Schlusslicht. In Belgien beispielsweise lag diese im vergangenen Jahr bei 29,4 [1].

Dies wirkt sich leider direkt auf die länderspezifischen Wartezeiten für Spenderorgane aus. So warten Kandidaten auf der Warteliste für eine Spenderniere in Deutschland im regulären Programm (ETKAS) mittlerweile durchschnittlich 8,5 Jahre, wohingegen die Wartezeit für eine Niere z.B. in Kroatien 2,3 Jahre, in Belgien 2,9 Jahre, den Niederlanden 3,2 Jahre und in Österreich 3,5 Jahre beträgt. Für die anderen Organtransplantationen (Leber, Herz, Lunge, Pankreas) gelten ähnlich erschreckende Unterschiede.

Im Seniorenprogramm von Eurotransplant (ESP) zur Nierentransplantation beträgt die Wartezeit in Deutschland durchschnittlich 3,9 Jahre. In den anderen sieben Mitgliedsländern ist sie im Schnitt hingegen eineinhalb Jahre kürzer, was für die älteren Patienten auf der Warteliste entscheidend kürzer ist.

Diese langen Wartezeiten für eine Spenderniere in Deutschland haben dramatische Konsequenzen, denn schon lange konnte gezeigt werden, dass eine kürzere Wartezeit an der Dialyse der stärkste positive Einflussfaktor für das spätere Ergebnis der Nierentransplantation (Überleben von Empfänger und Transplant) darstellt [2]. Auch sind die Sterblichkeit sowie die Raten der Ablistung von Kandidaten aufgrund einer gesundheitlichen Verschlechterung („unfit for transplant“) aufgrund der langen Wartezeiten in Deutschland am höchsten [3].

Strukturell und politisch-gesetzgeberisch tritt Deutschland seit Jahren auf der Stelle und eine Zunahme der Zahl gespendeter Organe ist leider derzeit nicht ersichtlich. Deshalb müssen Wege aus dem Dilemma gefunden werden, um auch die deutschen Patienten auf der Warteliste für eine Transplantatniere früher zu transplantieren. Im Seniorenbereich hat sich hier das ESP als Erfolgsmodell seit Jahren etabliert.

Rescue Allocation
Wenn Nierentransplantate von Eurotransplant nicht regulär vermittelt werden können, egal ob aus Gründen von Seiten des Spenders, des Empfängers oder der Logistik, dann werden diese im beschleunigten Verfahren (sog. „Rescue Allocation“) mehreren Transplantationszentren gleichzeitig angeboten. Auch für die anderen Organe besteht die Möglichkeit der Rescue Allocation. Bei ET gibt es zwei verschiedene Rescue Programme, auf die an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen wird.

Gründe für das Versagen einer regulären Organvermittlung bei Nierentransplantaten können z.B. unerwünschte Begleiterkrankungen des Spenders, mehrere versorgende Gefäße, die die Operation erschweren, ein positives Cross-Match (immunologische Testung der Verträglichkeit der Spenderniere im Empfänger), Nicht-Erreichbarkeit oder eine akute Erkrankung des Empfängers oder logistische Probleme sein. In den Eurotransplant-Mitgliedsländern mit kurzen Wartezeiten werden angebotene Organe wahrscheinlich großzügiger abgelehnt und auf ein baldiges, noch besseres nächstes Angebot gewartet. Mitunter können somit auch gute Transplantate über den Modus der Rescue Allocation angeboten werden.

Aktuelle Auswertungen zeigen, dass Deutschland verhältnismäßig viele Transplantatnieren über die Rescue Allocation importiert, so finden 75% dieser Transplantationen in Deutschland statt. Dies zeigt, den großen Bedarf an Transplantaten aufgrund des Mangels innerhalb Deutschlands.

Ergebnisse der Nierentransplantation nach Rescue Allocation
Zwischenzeitlich wurde die Gruppe der Nierentransplantationen nach Rescue Allocation wissenschaftlich erstmals analysiert und mehrfach hinsichtlich der Transplantationsergebnisse untersucht: Es konnte gezeigt werden, dass in Deutschland seit Jahren bereits auf Nieren aus der Rescue Allocation zurückgegriffen wird, um Patienten mit Nierentransplantaten zu versorgen. Die Rate an Nierentransplantationen nach Rescue Allocation hat sich in den letzten 15 Jahren in Deutschland verdoppelt und liegt aktuell schon bei durchschnittlich 15%. Wenn deutsche Transplantationszentren nicht darauf zurückgreifen würden und Nierentransplantate aus dem Ausland annehmen würden, dann wären die Wartezeiten hierzulande noch länger.

Erfreulicherweise zeigt sich in aktuellen Studien, dass das Überleben der Organempfänger nach Transplantation mit einer „Rescue-Niere“ vergleichbar gut wie mit einer regulär vergebenen Niere ausfällt. Lediglich bezüglich eines früheren Funktionsverlustes zeigen manche der Nierentransplantate nach Rescue Allocation ein statistisch etwas höheres Risiko.

Die Wartezeit zwischen Dialysebeginn bis zur Transplantation lässt sich durch die Akzeptanz einer Niere aus der Rescue Allocation für Wartende auf der ETKAS-Warteliste in Deutschland um durchschnittlich fast 3 Jahre jedoch deutlich reduzieren.

Für Patienten älter als 64 Jahre auf der ESP-Warteliste konnten sogar in jeder Hinsicht vergleichbar gute Ergebnisse der Nierentransplantationen nach regulärer (ESP) und Rescue Allocation gezeigt werden. Letztere wies zusätzlich und erfreulicherweise sogar eine durchschnittlich nochmals kürzere Wartezeit als im ESP (- 0,5 Jahre in Deutschland) auf [4, 5].

Fazit
Solange sich in Deutschland die Organspenderzahlen nicht endlich deutlich verbessern und damit die Wartezeiten bis zu einer Transplantation wesentlich verkürzen, sollten die Transplantationszentren positiv gegenüber der Akzeptanz von Nierentransplantaten aus der Rescue Allocation eingestellt sein. Gerade für Patienten, die Gefahr laufen, angesichts der langen Wartezeit „unfit for transplant“ zu werden oder für Senioren stellen diese Nierentransplantate eine adäquate Alternative dar. Jedes Transplantat ist kostbar.

Dabei ist es natürlich absolut selbstverständlich, dass das angebotene Transplantat dennoch einer äußerst kritischen interdisziplinären Überprüfung und Abschätzung hinsichtlich des zu erwartenden Transplantationserfolges bedarf. Bei der Akzeptanz eines Organs müssen stets die bekannten Risikofaktoren (insbesondere Alter und Vorerkrankungen des Spenders sowie die voraussichtliche Transportzeit des Organs) mit einbezogen werden [6, 7].
Nur die gründliche medizinische Einschätzung des angebotenen Organs ermöglicht es, die Rescue Allocation als Alternative für unsere Patienten in Deutschland zu nutzen. Hierfür liegen nun erstmals wissenschaftliche Daten vor, die die Transplantationszentren in der Entscheidung hinsichtlich der Akzeptanz von Rescue-Nierentransplantaten unterstützen und ermutigen können. PROF. DR. VOLKER ASSFALG

Prof. Dr. Volker Aßfalg ist Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Chirurgie des Klinikums rechts der Isar. Er leitet dort die Abteilung für Transplantationschirurgie. Für seine Forschung auf dem Gebiet der Nierenallokationsforschung erhielt er 2021 den Rudolf-Pichlmayr-Preises der Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG)

Quellen: [1] https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/226978/umfrage/anzahl-postmortaler-organ¬spender-in-ausgewaehlten-laendern [2] Meier-Kriesche HU, Kaplan B. Waiting time on dialysis as the strongest modifiable risk factor for renal transplant outco¬mes: a paired donor kidney analysis. Transplantation. 2002;74:1377–1381 [3] https://www.eurotransplant. org/statistics/statistics-library/ [4] Assfalg V, Miller G. Kidney Transplantation After Rescue Allocation-the Eurotransplant Experience: A Retrospective Multi-center Outcome Analysis. Transplantation. 2022 Jun 1;106(6):1215-1226. [5] Assfalg V, Miller G. Rescue allocation modes in Eurotransplant kidney transplantation: Recipient oriented Extended Allocation (REAL) vs. Competitive Rescue Allocation (CRA) – a retrospective multicenter outcome analysis. Aktuell im Publikationsprozess. [6] Assfalg V, Misselwitz S. Kidney transplantation after rescue allocation – meticulous selection yields the chance for excellent outcome. Nephrol Dial Transplant. 2021 Feb 20;36(3):551-560. [7] Miller G, Assfalg V. Kidney Transplantation Outcome Predictions (KTOP): A Risk Prediction Tool for Kidney Transplants from Brain-dead Deceased Donors Based on a Large European Cohort. Eur Urol. 2023 Feb;83(2):173-179.