Der Schwerbehindertenausweis

Der Schwerbehindertenausweis in Deutschland ist ein wichtiges Instrument, um die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen zu verbessern und ihnen Zugang zu verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen und Vorteilen zu ermöglichen. Die genauen Voraussetzungen und Leistungen können jedoch je nach individueller Situation und Bundesland variieren, weshalb es ratsam ist, sich bei den örtlichen Behörden oder Interessenvertretungen für Menschen mit Behinderungen nach aktuellen Informationen zu erkundigen. Im folgenden Beitrag werde ich versuchen, die wichtigsten Fakten zu erläutern:

Antragstellung: Das Verfahren zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises in Deutschland kann je nach Bundesland und örtlicher Zuständigkeit geringfügig variieren. Hier sind jedoch die grundlegenden Schritte, die normalerweise erforderlich sind:

Antragsformular: Besorgen Sie sich das Antragsformular für einen Schwerbehindertenausweis. Dieses Formular erhalten Sie in der Regel beim örtlichen Versorgungsamt oder online auf der Website des für Sie zuständigen Versorgungsamtes. Es kann auch beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erhältlich sein.

Ausfüllen des Antrags: Füllen Sie das Antragsformular sorgfältig aus. Geben Sie alle relevanten Informationen zu Ihrer Person und Ihrem Gesundheitszustand an. Auch solche Beschwerden, die aus Ihrer Sicht erstmal nichts mit der eigentlichen Behinderung zu tun haben. Beispielsweise leiden Sie unter einer Kardiomyophatie und sind deshalb für eine Herztransplantation gelistet. Sie haben aber auch chronische HWS-Beschwerden. Lassen Sie nichts aus!

Ärztliche Unterlagen: Sammeln Sie alle medizinischen Unterlagen, die Ihren Gesundheitszustand dokumentieren. Dies können ärztliche Berichte, Untersuchungsergebnisse, Diagnosen und andere relevante Dokumente sein. Diese Unterlagen sind entscheidend für die Bewertung Ihres Grades der Behinderung (GdB).

Einreichung des Antrags: Senden Sie das ausgefüllte Antragsformular zusammen mit den ärztlichen Unterlagen an das örtliche Versorgungsamt oder den MDK. Stellen Sie sicher, dass alle erforderlichen Unterlagen beigefügt sind, um Verzögerungen im Antragsprozess zu vermeiden.

Bearbeitung des Antrags/Bescheid/Ausweis: Das Versorgungsamt oder der MDK wird Ihren Antrag prüfen und das ärztliche Gutachten berücksichtigen, um den GdB festzulegen. Dieser Prozess kann einige Wochen in Anspruch nehmen. Nach Abschluss der Prüfung erhalten Sie einen schriftlichen Bescheid über die Feststellung des GdB und eventuell die Vergabe von Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis. Wenn Ihnen ein Schwerbehindertenausweis zugesprochen wird, erhalten Sie diesen per Post. Der Ausweis ist in der Regel fünf Jahre gültig.

Bitte beachten Sie, dass es in manchen Fällen notwendig sein kann, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen oder den GdB neu bewerten zu lassen, wenn Sie mit der Feststellung nicht einverstanden sind. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, sich von einem Fachanwalt für Sozialrecht beraten zu lassen.

Verschlimmerungsantrag: Wenn sich der Gesundheitszustand einer Person verschlechtert, kann sie einen Verschlimmerungsantrag stellen, um den Grad der Behinderung und die damit verbundenen Leistungen anzupassen. Auch hier gilt der oben beschriebene Prozess.

Ebenso kann die zuständige Behörde eine Überprüfung des GdB verlangen, wenn der Schwerbehindertenausweis beispielsweise befristet ausgestellt wurde. Gehen Sie in diesem Fall wie oben beschrieben vor.

Grad der Behinderung (GdB):

Der Schwerbehindertenausweis wird auf der Grundlage des festgestellten Grades der Behinderung (GdB) ausgestellt. Dieser Grad wird durch ärztliche Gutachten und Untersuchungen ermittelt und kann zwischen 20 und 100 liegen.

Grundlage für die Festlegung des GdB sind die “Versorgungsmedizinische Grundsätze” (VMG), die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlicht werden. Diese Grundsätze dienen als Richtlinien für die Bewertung von Behinderungen und geben Hinweise auf die entsprechenden GdB-Werte. Sie umfassen eine umfangreiche Liste von Krankheiten, Gesundheitszuständen und Funktionsbeeinträchtigungen, jeweils mit einer Beschreibung und einem vorgeschlagenen GdB-Wert.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Bewertung des GdB nicht immer einfach ist, da sie von vielen Faktoren abhängt, einschließlich der individuellen Auswirkungen einer Behinderung auf das tägliche Leben. Ärzte und Gutachter berücksichtigen die jeweilige Situation des Patienten, medizinische Befunde, Funktionsbeeinträchtigungen und die Auswirkungen der Behinderung auf die Selbstständigkeit und Lebensqualität. Deshalb ist es wichtig, dass Sie den Antrag so umfassenden wie möglich ausfüllen!

Hier einige Beispiele nach der GdB-Tabelle nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)

  • Nach Herztransplantation (9.1.4 VersMedV) oder einer Lungentransplantation (8.4. VersMedV) ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (im Allgemeinen zwei Jahre); während dieser Zeit ist ein GdB von 100 anzusetzen. Danach ist der GdB selbst bei günstigem Heilungsverlauf unter Berücksichtigung der erforderlichen Immunsuppression nicht niedriger als 70 zu bewerten.
  • Nach Lebertransplantation ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (im Allgemeinen zwei Jahre); GdB während dieser Zeit 100. Danach selbst bei günstigem Heilungsverlauf unter Berücksichtigung der erforderlichen Immunsuppression wenigstens 60.
  • Verlust, Ausfall oder Fehlen einer Niere mit Funktionseinschränkung der anderen Niere und Notwendigkeit der Dauerbehandlung mit Blutreinigungsverfahren (z. B. Hämodialyse, Peritonealdialyse) GdB 100.
  • Nach Nierentransplantation ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (im Allgemeinen zwei Jahre); während dieser Zeit ist ein GdB von 100 anzusetzen. Danach ist der GdB entscheidend abhängig von der verbliebenen Funktionsstörung; unter Mitberücksichtigung der erforderlichen Immunsuppression ist jedoch der GdB nicht niedriger als 50 zu bewerten.

Einen guten Überblick leistet die Website  https://versorgungsmedizinische-grundsaetze.de/

Merkzeichen:

Der Schwerbehindertenausweis kann zusätzlich zu einem bestimmten GdB auch verschiedene Merkzeichen enthalten, die auf bestimmte Beeinträchtigungen hinweisen. Hier sind einige der wichtigsten Merkzeichen, die im Schwerbehindertenausweis in Deutschland vermerkt werden können, sowie eine ausführlichere Beschreibung ihrer Bedeutung:

G (erhebliche Gehbehinderung): Das Merkzeichen G bedeutet, dass die Bewegungsfähigkeit der behinderten Person im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Wichtig zu wissen –  Sie haben keine orthopädischen Behinderungen die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen, Sie haben aber eine Herzerkrankung oder eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion? Auch hier kann das Merkzeichen G für Sie in Frage kommen.

aG (außergewöhnliche Gehbehinderung): Dieses Merkzeichen wird vergeben, wenn eine Person aufgrund ihrer Behinderung dauerhaft außergewöhnlich in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. Inhaber des aG-Merkzeichens haben besondere Parkprivilegien (siehe unter Parkausweis weiter unten).

B (Begleitperson erforderlich): Personen, die aufgrund ihrer Behinderung auf eine ständige Begleitung angewiesen sind, erhalten das B-Merkzeichen. Dies kann dazu führen, dass die Begleitperson beispielweise in öffentlichen Verkehrsmitteln kostenfrei reisen kann oder Eintritte ins Kino/Theater erlassen werden. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass auch die Merkzeichen G, Gl oder H zugesprochen wurden.

Bl (Blindheit): Personen, die als blind oder sehbehindert anerkannt sind, erhalten das Bl-Merkzeichen. Dieses Merkzeichen kann zusätzliche Leistungen und Unterstützung im Alltag bieten, wie beispielsweise kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Steuervorteile.

H (Hilflosigkeit): Das Merkzeichen H wird für Personen vergeben, die aufgrund ihrer Behinderung in besonderem Maße auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Es kann bestimmte steuerliche Vorteile sowie erhöhte Pflegeleistungen bedeuten.

Gl (Gehörlosigkeit): Menschen, die gehörlos oder schwerhörig sind, können das Gl-Merkzeichen erhalten. Dieses Merkzeichen kann Zugang zu speziellen Leistungen wie Gebärdensprachdolmetschern und Kommunikationshilfen bieten.

RF : Das RF-Merkzeichen wird vergeben, wenn eine der folgende gesundheitliche Voraussetzungen erfüllt ist

• Blindheit oder nicht nur vorübergehende wesentliche Sehbehinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 allein für die Sehbehinderung.
• Hörgeschädigt, wenn eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (GdB für die Hörbehinderung mindestens 50).
• Eine Behinderung mit einem nicht nur vorübergehenden GdB von mindestens 80, wenn die Behinderung die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen auf Dauer verunmöglicht.

Das RF-Merkzeichen berechtigt zu einer Ermäßigung oder Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Es ist wichtig zu beachten, dass die Berechtigung zur Ermäßigung oder Befreiung von der Rundfunkgebühr nicht automatisch mit dem Besitz des RF-Merkzeichens einhergeht. Personen, die dieses Merkzeichen auf ihrem Schwerbehindertenausweis haben, müssen einen separaten Antrag bei der zuständigen Rundfunkanstalt stellen, um die Ermäßigung oder Befreiung zu erhalten.

TBl (Taubblindheit): Das TBl-Merkzeichen wird Personen mit gleichzeitiger Hör- und Sehschwäche verliehen. Diese Menschen benötigen oft spezialisierte Unterstützung und Kommunikationshilfen.

Bitte beachten Sie, dass die Vergabe der Merkzeichen auf individueller Basis erfolgt und von der jeweiligen Behinderung und ihren Auswirkungen abhängt. Die Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis sollen dazu dienen, den Bedarf an speziellen Unterstützungsmaßnahmen und Vorteilen genauer zu kennzeichnen und sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen angemessen unterstützt werden.

Nachteilsausgleich

Der Nachteilsausgleich in Bezug auf den Schwerbehindertenausweis in Deutschland bezieht sich auf Maßnahmen und Vorteile, die Menschen mit Behinderungen gewährt werden, um ihre gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern und die Nachteile, die ihnen aufgrund ihrer Behinderung entstehen, auszugleichen. Diese Maßnahmen und Vorteile sollen sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie Menschen ohne Behinderungen haben. Hier sind einige Beispiele für Nachteilsausgleiche im Zusammenhang mit dem Schwerbehindertenausweis:

Steuerliche Vorteile: Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis können von steuerlichen Erleichterungen profitieren. Dies kann die Reduzierung der Einkommenssteuer oder die Befreiung von der Kfz-Steuer für behindertengerechte Fahrzeuge umfassen.

Parkausweis: Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen “aG” (außergewöhnliche Gehbehinderung) haben unter das Recht, den “blauen Parkausweis” für Behindertenparkplätzen zu beantragen. Dieser Parkausweis berechtigt unter anderem auf offiziellen Behindertenparkplätzen zu parken. Dies erleichtert den Zugang zu öffentlichen Orten erheblich. Den Antrag beantragt man in der Regel bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde der eigenen Stadt oder Gemeinde.

Erleichterungen im öffentlichen Verkehr: Personen mit einem Schwerbehindertenausweis können oft Ermäßigungen oder kostenlose Fahrten im öffentlichen Verkehr erhalten. Dies kann die Nutzung von Bussen, Bahnen und anderen Verkehrsmitteln erleichtern.

Arbeitsrechtlicher Schutz: Menschen mit Behinderungen sind gesetzlich vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geschützt. Arbeitgeber sind verpflichtet, angemessene Anpassungen und Unterstützung zu bieten, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt arbeiten können.

Soziale Leistungen: Personen mit einem Schwerbehindertenausweis können Zugang zu verschiedenen Sozialleistungen und Unterstützungsprogrammen haben, je nach Bedarf und Grad der Behinderung. Dies kann finanzielle Unterstützung oder den Zugang zu Rehabilitationseinrichtungen umfassen.

Zusätzliche Urlaubstage: In einigen Fällen gewähren Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen zusätzliche Urlaubstage, um ihren besonderen Bedürfnissen und Herausforderungen gerecht zu werden.

Erleichterungen im Straßenverkehr: Menschen mit Behinderungen können in einigen Fällen spezielle Ausnahmegenehmigungen im Straßenverkehr erhalten, wie beispielsweise die Nutzung von Busspuren oder das Parken in bestimmten Bereichen.

Die konkreten Nachteilsausgleiche können je nach individueller Situation und Grad der Behinderung variieren. Der Schwerbehindertenausweis dient dazu, die Bedürfnisse und Beeinträchtigungen der betroffenen Person genauer zu dokumentieren und sicherzustellen, dass sie angemessen unterstützt und gefördert wird, um eine bestmögliche gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

 

Lesen Sie in unserer nächsten Ausgabe:

Praktische Anwendung des Nachteilsausgleich durch den Schwerbehindertenausweis: Muss ich die Sitzreservierung in der Bahn bezahlen? Darf meine Begleitperson mit mir umsonst ins Museum? Gilt der Ausweis auch im Ausland?