Netzwerk “Psychotherapeutische Betreuung vor und nach Organtransplantation”
Volker Köllner, Christina Archonti und Burkhard Tapp
Patienten und ihre Familien sind während der Entscheidungs- und Wartezeit auf eine Organtransplantation einer hohen psychosozialen Belastung ausgesetzt. Ein Teil der Betroffenen bleibt auch nach der Transplantation psychisch auffällig und in der Lebensqualität eingeschränkt. Im Transplantationsgesetz ist deshalb eine psychologische Betreuung der Betroffenen vorgeschrieben. Leider bietet nur ein Teil der Transplantationszentren Programme zur psychosozialen Betreuung an. Wohnortnah ist es für die Betroffenen noch schwieriger, Unterstützung zu finden, da sich viele Therapeutinnen bei dieser Problematik nicht kompetent fühlen. Der Bundesverband der Organtransplantierten (BDO) als größte deutsche Selbsthilfeorganisation auf diesem Gebiet baut deshalb gemeinsam mit Psychotherapeutinnen aus Transplantationszentren ein Kompetenznetzwerk auf, an dem sich niedergelassene Therapeutinnen beteiligen können, die Betroffene betreuen möchten. Über unsere Homepage wird ihnen hierfür Beratung durch Expertinnen auf diesem Arbeitsfeld ermöglicht.
Aktuelle Bedeutung der Transplantationsmedizin
Die Organtransplantation stellt seit Ende der 80er Jahre ein Standardverfahren zur Behandlung eines terminalen Organversagens dar. In Deutschland wurden im Jahr 2000 annähernd 3000 Transplantationen durchgeführt, eine Übersicht über die verschiedenen Transplantationen und die Patienten auf der Warteliste zeigt Tabelle 1. Hinzu kommen jährlich über 1000 Stammzelltransplantationen (geläufiger ist noch der Begriff “Knochenmarktransplantation”), die vor allem bei bestimmten Formen von Leukämie, Lymphdrüsenkrebs und anderen bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems durchgeführt werden. Bei der Herztransplantation werden inzwischen Überlebensraten von 83,3% nach einem Jahr, 66,7% nach fünf Jahren und 48,3% nach zehn Jahren erreicht (Bunzel et al., 2002), bei anderen Organen sind die Ergebnisse vergleichbar. In der 10-Jahres-Katamnese hatten die Patienten eine Lebensqualität im Bereich der Normalbevölkerung mit leichten Einschränkungen in den körperbezogenen Funktionsskalen. Auffällig war eine im Zeitverlauf ansteigende Depressivität. Grady et al. (2002) konnten zeigen, dass psychosoziale Belastungen und psychische Erkrankungen bei Patienten nach Herztransplantation einen stärkeren Einfluss auf die Lebensqualität haben als rein medizinische Parameter. Besonders eingeschränkt ist die Lebensqualität bei den Patienten, die eine manifeste psychische Störung wie eine Depression (Trumper und Appleby 2001) oder eine Posttraumatische Belastungsstörung (Köllner et al. 2002) aufweisen.
Psychosoziale Probleme von Patienten und ihren Familien im Umfeld der Transplantation
Während der Wartezeit auf den Eingriff, die bei einer Lungentransplantation durchschnittlich bis zu zwei Jahre dauern kann, sind die Patienten gesundheitlich stark eingeschränkt, sehnen den Eingriff herbei und müssen zudem fürchten, dass das rettende Organangebot zu spät kommt. Gleichzeitig fürchten sie die Operation und die damit verbundenen Risiken und Belastungen. Zipfel et al. (1998) wiesen für Patienten auf der Warteliste zur Herztransplantation eine hohe und im Verlauf schnell ansteigende psychische Belastung nach.
Nach der Transplantation sind vor allem folgende Problembereiche relevant:
- Ablegen des teilweise über Jahre eingeübten Krankheitsverhaltens, um die neue Freiheit nutzen zu können.
- Neue Rollendefinition in der Partnerschaft, die vor der Transplantation häufig überwiegend über Versorgung und Pflege definiert war.
- Compliance-Probleme bei der regelmäßigen Einnahme großer Mengen nebenwirkungsreicher Medikamente, die notwendig sind, um potentiell tödliche Abstoßungsreaktionen und Infektionen zu verhindern.
- Einhalten von Verhaltensvorschriften hinsichtlich Untersuchungsterminen, Ernährung, Hygiene, Bewegung, Alkohol- und Nikotinabstinenz.
- Nachdem lange Zeit das Er- und Überleben der Transplantation das große Lebensziel war, fehlt häufig eine neue Orientierung, wenn das Leben mit dem Spenderorgan nach etwa einem Jahr Routine geworden ist. Weiterbestehende Arbeitslosigkeit trotz wiedererlangter Leistungsfähigkeit ist in dieser Situation häufig der Auslöser von Depressionen.
Betroffen vom Thema Organtransplantation sind aber auch Familienangehörige. Diesen wird in der klinischen Praxis wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sowohl für die Wartezeit vor der Transplantation (Bohachick et al., 2001) als auch für die Zeit danach (Bunzel et al., 1999) eine erhöhte psychische Belastung gerade für die Angehörigen nachgewiesen werden konnte.
Ein weiteres Arbeitsfeld stellt die psychologische Diagnostik und Therapie im Umfeld einer Lebendspende dar. Insbesondere im Bereich der Nieren- und Lebertransplantation[1] gewinnt die Organspende untereinander nahestehenden Menschen zunehmend an Bedeutung. In der Praxis haben hier familientherapeutische Modelle (McDaniel et al. 1997) einen hohen Stellenwert.
Psychotherapeutische Begleitung ist vorgeschrieben
Das Transplantationsgesetz von 1997 fordert in § 10, Abs.2. S.5 von den Transplantationszentren “vor und nach einer Organübertragung Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen”. Trotz dieses erheblichen Betreuungsbedarfes stellten Johann und Erim (2001) im Vergleich zur Psychoonkologie ein “durchgängiges Fehlen von Manualen zur psychoedukativen Intervention” und evaluierten psychotherapeutischen Betreuungskonzepten fest. Nicht alle Transplantationszentren bieten Betreuungsprogramme an und im ambulanten Bereich ist es noch schwieriger, einen geeigneten Therapieplatz zu finden. Ursache hierfür sind sowohl lange Wartelisten als auch die Angst von TherapeutInnen, bei dieser Problematik im Grenzbereich zur Hightech-Medizin nicht kompetent zu sein.
Das Netzwerk
Inzwischen melden sich die Selbsthilfeorganisationen der Betroffenen zu Wort (Tapp, 2002), um bessere Psychotherapiemöglichkeiten für Transplantationspatienten und ihre Angehörigen einzufordern. Um es Patienten zu erleichtern, einen Therapieplatz zu finden, sind alle Therapeutinnen und Therapeuten, die im Bereich Transplantationsmedizin aktiv werden möchten, eingeladen, ein auf der Homepage des Bundesverbandes der Organtransplantierten (BDO, www.bdo-ev.de) abrufbares Formular auszufüllen. Diese Angaben sollen dann Patienten helfen, den Weg zu Praxen in ihrer Umgebung zu finden. Dafür bietet der BDO über die Homepage eine Beratung durch Expertinnen an, die über Erfahrung in diesem Praxisfeld verfügen. Dies umfasst sowohl eine Beratung bei Therapieproblemen als auch die Anforderung von Literatur. Folgende ExpertInnen beteiligen sich an diesem Modellprojekt[2]:
Name, Institution Arbeitsschwerpunkt
- Dipl. Psych. Christina Archonti, Lungentransplantation, Universitätsklinik Homburg/Saar
- Dr. med. Yesim Erim, Lebertransplantation, Universitätsklinikum Essen Lebendspende
- Dr. med. Holger Kirsch Lungentransplantation, Universitätsklinikum Frankfurt/M.
- Dr. med. Volker Köllner Herztransplantation, PTSD, Universitätsklinikum Dresden Betreuung von Angehörigen
- Dr. Dr. Karl Heinz Schulz Lebertransplantation, Universitätskrankenhaus Eppendorf, Hamburg Lebendspende
- Dipl. Psych. Sibylle Storkebaum Nierentransplantation, Universitätsklinikum der TU München Transplantation bei Kindern
Vertreten sind hier tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Familientherapie, ebenso gilt die Einladung zur Mitarbeit schulenübergreifend. Es gibt keine empirische Evidenz für die Überlegenheit einer Therapieschule in der Betreuung von Patienten in der Transplantationsmedizin. Dafür besteht eine lange Tradition eines methodenübergreifenden Erfahrungsaustausches. Ein Beispiel hierfür ist die jährlich stattfindende “Arbeitstagung Transplantationsmedizin” der Universitätsklinik für Psychotherapie und Psychosomatik in Essen.
Fazit für die Praxis
Durch die psychotherapeutische Arbeit in der Transplantationsmedizin wird man regelmäßig mit Grenzbereichen menschlicher Existenz und existenzieller Bedrohung konfrontiert. Unsere Erfahrung ist, dass gerade hier die Akzeptanz psychosomatisch/psychotherapeutischer Unterstützung bei den Patienten und den beteiligten Kliniken groß ist. Wir haben die Arbeit in der Transplantationsmedizin deshalb als positive Herausforderung und Bereicherung unseres beruflichen Alltages erlebt. Es besteht ein erheblicher Bedarf an psychotherapeutischer Betreuung, der von den Selbsthilfeorganisationen inzwischen eingefordert wird. Aus diesem Dialog entstand die Idee zu diesem Netzwerk, das Therapeutinnen, die sich bei der Betreuung von Organtransplantierten und ihren Familien engagieren wollen, Beratung und Information ermöglicht. Hier können Sie sich auf der Therapeut:innenliste des BDO eintragen und Informationen anfordern.
Literatur
1. Archonti C, Wilkens H, Martin-Köllner S, Schäfers HJ, Sybrecht GW, Köllner V (2002) Psychische Betreuung von Patienten und Angehörigen in der Transplantationsmedizin – Erfahrungen mit einer begleitenden verhaltensmedizinischen Gruppe. In: Behrendt B, Schaub A (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement in der Klinischen Praxis. Tübingen, dgvt-Verlag, im Druck
2. Bunzel B, Laedarach-Hofmann K, Schubert MT (1999) Patient benefit- partners suffer? The impact of heart transplantation on the partner relationship. Transplant International 12:33-41
3. Bunzel B., Laederach-Hofmann K., Grimm M. (2002) Überleben, klinische Daten und Lebensqualität 10 Jahre nach Herztransplantation: Eine prospektive Studie. Z. Kardiol. 91:319-327
4. Grady K.L., Jalowiec A., White-Williams C. (1999) Predictors of quality of life in patients at one year after heart transplantation. J. Heart Lung Transplant 18:202-210.
5. Johann B, Erim Y (2000) Psychosomatische Betreuung von Transplantationspatienten. Psychother Psychosom Med Psychol 51:438-446
6. Johann B, Richter-Görge H (1999) Familientherapeutische Interventionen in der Betreuung von Transplantationspatienten. In: Johann B. Lange R (Hrsg) Psychotherapeutische Interventionen in der Transplantationsmedizin. Lengerich, Pabst Science Publishers, S 119-125
7. Köllner V, Maulhardt T, Hofmann B, Tugtekin SM, Diegeler A, Joraschky P (2002) Post Traumatic Stress Disorder (PTSD) and Quality of Life after Heart or Lung Transplantation. Psychosomatic Medicine 64:173
8. McDaniel S, Hepworth J, Doherty WJ (1997) Familientherapie in der Medizin. Übers. von Kröger F, Hendrischke A. Carl Auer, Heidelberg
9. Storkebaum S. Jetzt ist’s ein Stück von mir! Alles über Organtransplantation. München: Kösel, 1997
10. Tapp B (2002) Psychologische Betreuung vor und nach Organtransplantation. transplantation aktuell Heft 1, S. 17
11. Trumper A, Appleby L (2001) Psychiatric morbidity in patients undergoing heart, heart and lung or lung transplantation. J Psychosom Res 50:103-105
12. Zipfel S, Lowe B, Paschke T, Immel B, Lange R, Zimmermann R, Herzog W, Bergmann G. (1998) Psychological distress in patients awaiting heart transplantation. J Psychosom Res 45:465-70.
Korrespondenzadresse[3]:
Prof. Dr. med. Volker Köllner
Email: koellner@psychosoma.de
Volker Köllner
Geb. 1960. Dr. med., Medizinstudium in Bonn. Bis 1990 Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Herz- und Gefäßchirurgie, bis 1993 an der medizinischen Universitätsklinik Bonn. Bis 1997 wiss. Mitarbeiter am Institut für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätsklinik Homburg/Saar, seit 1998 Oberarzt und Leiter der psychosomatischen Poliklinik und des Konsiliardienstes am Universitätsklinikum Dresden. Verhaltenstherapeut und Familientherapeut (DAF), Supervisor für Verhaltenstherapie. Seit 1995 psychotherapeutische Betreuung in der Transplantationsmedizin. Weitere Arbeitsschwerpunkte: Psychokardiologie, Posttraumatische Belastungsstörung im medizinischen Kontext, Ausbildungsforschung im Bereich Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Seit 2016 Ärztlicher Direktor des Reha-Zentrums Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund in Teltow tätig.
Christina Archonti
Geb. 1968. Dipl. Psych. Psychologiestudium in Saarbrücken. Seit 1997 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachrichtung für Medizinische und Klinische Psychologie der Universität des Saarlandes an den Universitätskliniken Homburg/Saar. Seit 1997 psychotherapeutische Betreuung in der Transplantationsmedizin. Weitere Arbeitsschwerpunkte: Akuter und Chronischer Tinnitus, Psychokardiologie, Psychoonkologie. Derzeit in Frankfurt/Main als Psychotherapeutin in einer Praxis tätig.
Burkhard Tapp
geb. 1956. Dipl. Soz.-Päd., Sozialpädagogikstudium in Freiburg/Breisgau. Bis 1991 Leiter einer Außenwohngruppe in Münster/Westfalen. Seit Dezember 1991 Wartepatient auf eine Doppellungentransplantation, die im Februar 2002 erfolgte. Z.Zt. berentet. Ehrenamtliche Mitarbeit im Bundesverband der Organtransplantierten e.V. (BDO) seit 1993, 12 Jahre Mitglied im Vorstand des BDO. Zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und den Fachbereich Lungen- und Herz-Lungen-Transplantation. 1994 Übernahme der Redaktionsverantwortung für die Zeitschrift des Bundesverbandes “transplantation aktuell” bis 2013 (früher BDO-Blätter).
Gründer des Kompetenz-Netzwerkes Transplantations-Psychologie. Seit 2011 Leiter der Regionalgruppe Südbaden des BDO. Seit 2006 Patientenvertreter in der Bundesfachgruppe Herz- und Lungentransplantation zur Qualitätssicherung. Seit 2015 Mitglied der AG Richtlinien Thorakale Organe (seit 10/2016 neu organisiert als AG RL Herz und AG RL Lunge) der Bundesärztekammer als Patientenvertreter.
[1] Da die Leber ein regenerationsfähiges Organ ist, kann ein Mensch einem anderen ohne über das Operationsrisiko hinausgehende Gefahr für seine Gesundheit einen Teil seiner Leber spenden.[2] Bitte beachten Sie die aktuelle Fassung der ExpertInnenliste auf dieser Homepage, die auch zum Download zur Verfügung steht. [3] Die folgenden Abschnitte wurden im Oktober 2016 aktualisiert und ergänzt.