Bitte um Unterstützung Organtransplantierter mit Corona-Schnelltests
Brief des BDO e.V. an den Gesundheitsminister Lauterbach
Sehr geehrter Herr Minister Prof. Dr. Lauterbach,
wir wenden uns heute an Sie, um auf eine finanzielle Belastung aufmerksam zu machen, die Organtransplantierte ungeachtet der veränderten Pandemie Situation immer noch besonders betrifft und auch auf absehbare Zeit betreffen wird. Es geht uns dabei um einen erhöhten Bedarf an Corona-Schnelltests. Wir möchten höflich um wohlwollende Prüfung bitten, ob hierfür eine Unterstützung geregelt werden kann.
Im Folgenden möchten wir dazu zunächst das Problem näher darstellen. Wir werden
sodann zeigen, welche beiden rechtlichen Anknüpfungspunkte aus unserer Sicht für die
Lösung des Problems zur Verfügung stehen und wegen der gleichberechtigten sozialen
Teilhabe Organtransplantierter und der Wahrung gleicher Gesundheitschancen sogar
verlangen, das Problem zu lösen. Wir führen hierzu im Einzelnen wie folgt aus:
1.
Die Corona-Schutzimpfungen haben bei Organtransplantierten teilweise keine und vielfach nur eine reduzierte Wirkung erzielt. Der Grund dafür ist: Die für den Schutz des transplantierten Organs wichtigen immunsupprimierenden Medikamente haben die Bildung
von Antikörpern teilweise oder vollständig verhindert. Außerdem sind die derzeit in
Deutschland verbreiteten Virus-Varianten sehr ansteckende Escape-Varianten, weshalb sich das Virus trotz einer weiten Verbreitung von Antikörpern in der Bevölkerung weiterhin
vermehrt. Es besteht damit für Organtransplantierte noch immer in zweifacher Hinsicht
ein erhöhtes Risiko: sich schneller mit dem Coronavirus zu infizieren und im Falle einer
Infektion einen schweren Verlauf zu erleiden. Wir gehen sogar davon, dass die aktuellen
Lockerungsmaßnahmen wie etwa die bereits teilweise entfallene Isolationspflicht für
Infizierte und das Entfallen der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln in
tatsächlicher Hinsicht dieses Risiko erhöht haben und dieses weiterhin erhöhen werden.
Dazu kommt, dass im Falle einer Infektion von Organtransplantierten derzeit ärztlich
vielfach eine Reduzierung der immunsupprimierenden Medikamente zur Stärkung des
Immunsystems angeordnet wird, was jedoch für das transplantierte Organ nicht ohne
Risiko ist. Kurzum: Organtransplantierte müssen sich weiterhin stärker schützen als
andere. Sie müssen daher anders als der größte Teil der Bevölkerung weiterhin erhöhte Sorge
dafür tragen, dass sie in geschlossenen Räumen nicht auf infizierte Personen treffen.
Diese Vorsicht ist insbesondere erforderlich innerhalb der Familie oder des Haushalts, bei
Treffen mit Freund:innen oder Verwandten, bei Feiern usw. Vielfach testen sich daher
Familienmitglieder, Freund:innen und Verwandte von Organtransplantierten mit
Schnelltests, bevor sie mit diesen in geschlossenen Räumen zusammenkommen.
Speziell Familien mit Schulkindern führen eine hohe Zahl an Tests durch, um die mögliche
Infektion eines Schulkindes früh zu erkennen, damit der organtransplantierte Elternteil
sich so früh wie möglich zu seinem Schutz isolieren kann. Bei Schulkindern kann mit einem
Test nicht bis zum Auftreten von Symptomen gewartet werden. Dann nämlich stellte man
die Infektion erst fest, wenn bereits Ansteckbarkeit vorliegt. Eines unserer Mitglieder hat
beispielsweise darüber berichtet, dass nunmehr seit einem Jahr, seitdem seine beiden
Kinder nach den Corona-Schutzimpfungen wieder die Schule besuchen, diese sich im
Durchschnitt jeweils viermal wöchentlich testen. Für diese Familie bedeutet das, sie hat
im letzten Jahr nur für die Kinder mehrere hundert Schnelltests gekauft und eingesetzt.
Als besonders problematisch stufen wir zudem diejenigen Fälle ein, in denen es aus
finanziellen Gründen nicht möglich ist, die notwendigen Schnelltests vorzuhalten. Denn:
Wem dies nicht möglich ist, muss entweder das hohe Risiko einer Infektion und eines
schweren Krankheitsverlaufs infolge sozialer Kontakte in Kauf nehmen oder auf soziale
Kontakte verzichten. Beides ist nicht hinnehmbar. Betroffen davon sind einmal diejenigen
Personen, die Grundsicherungsleistungen beziehen. Zwar können diese Personen
versuchen, eine Heraufsetzung der Grundsicherungsleistungen zu erwirken; das SGB II
enthält hierfür in seinem § 21 Abs. 6 eine allgemeine Mehrbedarfsregelung für Härtefälle, und das SGB XII hält in Form von Öffnungsklauseln in § 27 Abs. 4 die Möglichkeit einer
abweichenden Regelsatzfestsetzung und in § 73 die Hilfe für sonstige Lebenslagen bereit.
Jedoch bereitet die Anwendung dieser Vorschriften in der Praxis immer wieder große
Probleme. Da sozialgerichtliche Klageverfahren nicht selten mehrere Jahre dauern, ist es
unzumutbar, die betroffenen Personen darauf zu verweisen, sozialgerichtlich klären zu
lassen, ob die Finanzierung von Schnelltests durch die Grundsicherungsträger
sichergestellt werden muss. Ungeachtet dessen betrifft das Problem, Schnelltests nicht
ausreichend vorhalten zu können, auch die Personen, deren Einkommen knapp über der
Berechtigungsgrenze für Grundsicherungsleistungen liegt. Typischerweise gehören hierzu
Bezieher:innen einer Erwerbsminderungsrente, zu denen viele Organtransplantierten
zählen. Für die Tests von Familienmitgliedern ergibt sich aus deren Notwendigkeit ohne weiteres eine finanzielle Belastung, die unmittelbar die oder den Organtransplantierten trifft.
Von weiteren Verwandten oder Freunden dürfte nicht zu erwarten sein, dass diese die
Schnelltests selbst finanzieren – mit der Folge: dass Schnelltests bereithalten muss, wer zu
seinem Schutz von anderen wünscht, dass diese sich vor einem Zusammentreffen testen.
Die Wertung, dass wer sich zum Schutze anderer testet, dies nicht finanzieren muss,
findet sich in der aktuellen Fassung der Coronavirus-Testverordnung: Dort ist in § 4 Abs. 1
S. 1 Nr. 3 und 4 geregelt, dass Besucher:innen von Personen in den dort weiter definierten
Einrichtungen, Unternehmen, stationären Einrichtungen oder ambulanten Diensten der
Eingliederungshilfe anknüpfend an den Besucher:innen-Status einen Anspruch auf einen
kostenlosen Test haben, um die Verbreitung des Coronavirus zu verhüten – und damit
praktisch insbesondere die zu besuchende Person zu schützen.
2.
Die Notwendigkeit, zum eigenen Schutz Tests für Familienmitglieder und weitere
Verwandte oder Freunde zu kaufen und bei diesen einzusetzen, bewirkt für
Organtransplantierte eine Belastung, die wegen des transplantierten Organs unumgänglich
ist. Sie knüpft damit unmittelbar an die Schwerbehinderung Organtransplantierter an.
Organtransplantierte bekommen nach der Versorgungsmedizin-Verordnung einen Grad der
Behinderung von wenigstens 50 (in der Regel nach zwei Jahren Heilungsbewährung)
festgestellt und sind gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX damit schwerbehindert.
Das Schwerbehindertenrecht enthält zahlreiche Regelungen, die Nachteile ausgleichen,
deren Grund in der Schwerbehinderung liegt. Es gibt zum einen allgemeine
Nachteilsausgleiche wie etwa Steuervergünstigungen, zusätzlichen Urlaub oder Kündigungsschutz am Arbeitsplatz. Zum anderen gibt es Nachteilsausgleiche, die an die
Spezialität einer Behinderung anknüpfen, wie etwa gesonderte Parkplätze bei
außergewöhnlichen Gehbehinderungen oder die Berechtigung, eine Begleitperson
mitzunehmen, wenn der behinderte Mensch z.B. bei der Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel regelmäßig auf Hilfe angewiesen ist.
Die finanzielle Belastung Organtransplantierter durch Schnelltests knüpft an die lebenslang notwendige Immunsuppression und damit einen speziellen Aspekt der Schwerbehinderung an: Wegen der Immunsuppression bedürfen Organtransplantierte auf absehbare Zeit für eine wirksame und angemessene soziale Teilhabe und ein Leben in Gemeinschaft in Bezug auf Familie und Freunde ein höheres Maß an Gewissheit darüber, dass andere bei einem Aufeinandertreffen in geschlossenen Räumen nicht mit dem Coronavirus infiziert sind. Dabei ist zu beachten: bereits die Immunsuppression bewirkt bei Organtransplantierten die Schwerbehinderung und ist daher maßgeblicher Aspekt dieser. So folgt etwa aus Ziffer 12.1.4. Versorgungsmedizin-Verordnung, dass nach der Heilungsbewährung infolge einer Nierentransplantation der Grad der Behinderung abhängig ist von der verbliebenen Funktionsstörung, er jedoch unter Mitberücksichtigung der erforderlichen Immunsuppression nicht mit einem Wert von weniger als 50 zu bewerten ist.
Der an die Immunsuppression anknüpfende gesteigerte Bedarf Organtransplantierter für Schnelltests und der damit verbundene finanzielle Nachteil ist bisher nicht ausgeglichen worden. Auch die außerhalb des Schwerbehindertenrechts angesiedelte Coronavirus- Testverordnung hat diesbezüglich zu keiner Zeit eine Abhilfe geleistet: Kostenlose Testmöglichkeiten für Familienmitglieder von Organtransplantierten oder Besucher von diesen sind in keiner der Fassungen der Coronavirus-Testverordnung einschließlich der aktuell gültigen Fassung geregelt worden. Wir bitten daher um Prüfung, ob für die finanzielle Belastung Organtransplantierter durch die Notwendigkeit, für soziale Kontakte in geschlossenen Räumen Schnelltests einzusetzen, eine Entlastung zu schaffen ist durch einen an die Schwerbehinderung anknüpfenden Nachteilsausgleichs. Es böte sich hier ein spezieller Nachteilsausgleich an, der für Organtransplantierte geregelt wird und eine Durchführung über ein Gutscheinsystem vorsieht.
Die Notwendigkeit der Regelung eines solchen Nachteilsausgleich wird unseres Erachtens
zudem gestützt durch die UN-Behindertenrechtskonvention. Diese verfolgt gemäß ihrem
Art. 1 den Zweck, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu
gewährleisten. Die UN-Behindertenrechtskonvention steht aufgrund des Zustimmungsgesetzes des Bundesgesetzgebers (Art. 59 Abs. 2 GG) innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfG, 24.7.2018, 2 BvR 309/15).
Zudem besitzt sie verfassungsrechtliche Bedeutung als Auslegungshilfe für die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der Grundrechte des Grundgesetzes (vgl. BVerfG, 26.7.2016, 1 BvL 8/15, Rn. 17 hier 88; BVerfG, 30.1.2020, 2 BvR 1005/18, Rn. 47). Ihre Bestimmungen und
Vorgaben sind daher zu beachten, wenn die gleichberechtigte Teilhabe behinderter
Menschen einfachgesetzlich geregelt oder geprüft wird, ob einfachgesetzliche Regeln für
diese zu schaffen sind. Dies gilt vorliegend speziell deshalb, weil die von uns begehrte Ermöglichung eines Zugangs zu einer gleichberechtigten Teilhabe zugleich die körperliche Unversehrtheit und das Leben Organtransplantierter im Sinne von Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes schützt.
3.
Alternativ käme eine Regelung im gesetzlichen Krankenversicherungsrecht (unter
Einbeziehung einer Regelung für privat Krankenversicherte in Betracht), die eine
Versorgung Organtransplantierter mit Schnelltests als Sachleistung sicherstellt.
Eine solche Sachleistung fände krankenversicherungsrechtlich ihre Rechtfertigung über
den Gedanken der Prävention. Testen sich Familienmitglieder Organtransplantierter
regelmäßig und andere Verwandte oder Freunde vor einem Aufeinandertreffen in
geschlossenen Räumen, senkt dies für Organtransplantierte das hohe Infektionsrisiko und
das Risiko für einen schweren Verlauf erheblich und beugt damit in erheblichem Maße
einer Erkrankung Organtransplantierter und möglichen schweren gesundheitlichen Folgen
vor.
Die Bundesrepublik Deutschland ist ungeachtet eines eigenen Interesses dazu verpflichtet,
Krankheiten vorzubeugen und einen Zugang zur Gesundheitsvorsorge zu schaffen. Dies
folgt aus der Ottawa-Charta der WHO, Art. 11 der Europäischen Sozialcharta, Art. 12 UN-
Sozialpakts und Art. 35 der Charta der Grundrechte der EU. Daher findet sich in § 20i Abs. 3 S. 1 SGB V eine Ermächtigungsgrundlage für das Bundesministerium für Gesundheit unter Beachtung eines bestimmten Verfahrens, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Versicherte Anspruch auf weitere als zuvor in der Vorschrift in Bezug genommene Schutzimpfungen haben oder auf bestimmte andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe.
Die Versorgung einer bestimmten Gruppe Versicherter mit Corona-Schnelltests, die für diese Gruppe trotz einer in der Bevölkerung verbreiteten Grundimmunität notwendig ist, um im Familienleben oder bei Aufeinandertreffen mit anderen Verwandten oder Freunden ein hohes Risiko für eine Infektion mit schweren Folgen abzusenken, kann eine bestimmte Maßnahme der spezifischen Prophylaxe im Sinne der genannten Vorschrift sein. Der Gesetzgeber hat sich
insoweit für unbestimmte Rechtsbegriffe entschieden. Die Regelung ist daher ihrem
Inhalt nach nicht abschließend bestimmt. Sie ist vielmehr auch für die Erfassung von
Fällen zugänglich, die nicht von vornherein vom Gesetzgeber vorhergesehen wurden.
Dieser Position kann die mögliche präventive Gabe von Antikörpern nicht
entgegengehalten werden. Denn eine solche wirkt nach aktuellen Untersuchungen bei
Organtransplantierten bei hochansteckenden Escape-Varianten nicht. Auch steht unseres
Erachtens unserer Position nicht entgegen, dass in der speziell für die Corona-Pandemie
geschaffenen und zum 7.4.2023 auslaufenden Regelung des § 20i Abs. 3 S. 2 SGB V in der
Nr. 1.b) von bestimmten Testungen die Rede ist. Denn dort ist der als Sachleistung
unmittelbar von einem Leistungserbringer durchgeführte Test gemeint – während wir
vorliegend um eine andere Leistung bitten: nämlich die Zurverfügungstellung von
Schnelltests, die Organtransplantierte Familienmitgliedern oder anderen Personen, auf die
sie in geschlossenen Räumen treffen, zur Durchführung eines Selbsttests aushändigen
können. Auch wenn Sie dies anders beurteilten, stünde dies unserem Begehren nicht
entgegen.
Eine Erfüllung unseres Begehrens bedürfte dann jedoch zunächst einer
einfachgesetzlichen Regelung mit entsprechender Verordnungsermächtigung, damit
sodann im zweiten Schritt eine entsprechende Verordnung erlassen werden könnte.
Unabhängig von dem konkreten Weg, der für die Erfüllung des Begehrens erforderlich ist,
ist diese rechtlich geboten und unerlässlich. Denn anders als bei dem größten Teil der
Bevölkerung ist durch die individuell durchgeführten Schutz-Impfungen und der zusätzlich
verbreiteten Grundimmunität für Organtransplantierte keine wesentlich veränderte
Situation eingetreten. Wir verweisen hierzu auf die bereits beschriebene reduzierte
Impfwirkung bei Organtransplantierten sowie den Umstand, dass die aktuell vorhandenen
Virus-Varianten sehr ansteckende Escape-Varianten sind. Die staatliche Pflicht zur
wirksamen und effektiven Prävention ist gegenüber Organtransplantierten bisher nicht
erfüllt.
Oder anders formuliert: Die aktuelle Situation zeigt, individuelle Schutz-
Impfungen und eine verbreitete Grundimmunität genügen für Organtransplantierte nicht,
vielmehr müssen diese für eine effektive Prävention, die sich graduell dem Präventionsniveau der übrigen Bevölkerung annähert, durch Sie als Verordnungsgeber oder
hilfsweise durch den Gesetzgeber und Sie weiter unterstützt werden. Hierfür streitet auch Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes: Würden Organtransplantierte über die individuellen Schutz-Impfungen hinaus keine weitere individuelle Präventionsunterstützung erhalten, behandelte der Staat sie auf dieselbe Weise, wie er es mit dem größten Teil der Bevölkerung getan hat, gleichwohl Organtransplantierte dadurch keinen annähernd gleichwertigen individuellen Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus und vor einem schweren Verlauf im Falle einer Infektion aufbauen konnten. Das bedeutete, unterschiedliche Sachverhalte würden auf dieselbe Art und Weise behandelt werden. Rechtlich betrachtet läge damit ein ungerechtfertigter Gleichheitsverstoß vor.
Nun hoffen wir auf Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung für unser Anliegen und sehen
mit großem Interesse Ihrer Antwort entgegen. Gerne stehen wir Ihnen für Fragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Sandra Zumpfe Burkhard Tapp
Vorstandsvorsitzende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit