Mehr Bewegung – aber noch lange kein Durchbruch
Beim 21. DSO-Jahreskongress in Würzburg stand eines sehr klar im Raum: Die Organspende in Deutschland kommt voran – aber viel zu langsam für die vielen schwerkranken Patient:innen auf den Wartelisten.
Politischer Rahmen: „Organspende muss Routine werden“
In ihrem Grußwort erinnerte die Bundesgesundheitsministerin daran, dass Organspende „lebensnotwendig“ bleibt – und die aktuellen Zahlen weiterhin deutlich zu niedrig sind. Hebel aus ihrer Sicht: bessere Aufklärung, effizientere Abläufe in den Kliniken und gezielte gesetzliche Anpassungen.
Die geplante Reform der Lebendorganspende soll den Kreis der spendenden Personen erweitern und gleichzeitig den Spenderschutz stärken. Ziel bleibt aber klar: Die postmortale Organspende soll im Klinikalltag Routine sein – nicht Ausnahme.
Prof. Axel Rahmel (medizinischer Vorstand DSO) zeigte dazu die aktuelle Lage:
- 2025 sehen wir die höchste Zahl an Organspender:innen seit zehn Jahren,
- aber wir liegen weiter deutlich unter dem früheren Niveau von rund 1.250 Spender:innen pro Jahr.
Deutschland kommt derzeit auf etwa 12 Spender:innen pro Million Einwohner und liegt damit im unteren Drittel Europas. Gleichzeitig ist Deutschland weiterhin Netto-Importeur von Organen im Eurotransplant-Verbund: Es werden mehr Organe transplantiert, als hierzulande gespendet werden.
Prof. Frank Montgomery (Stiftungsratsvorsitzender der DSO) machte klar: Vor den Skandalen 2011 lagen die Zahlen spürbar höher, heute pendeln wir unterhalb der Marke von 1.000 Spender:innen – bei gewachsener Bevölkerung. Sein Fazit: Wir können es uns nicht leisten, noch Jahre in Struktur- und Krankenhausdebatten zu verlieren, ohne die Organspende mitzudenken.
Kliniken im Fokus: Potenzial, Qualität und Strukturen
Rahmel zeigte eindrücklich, wie groß das ungenutzte Potenzial ist:
- Rund 1 Million Todesfälle pro Jahr in Deutschland,
- ca. 60.000 mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung,
- daraus werden aktuell nur etwa 1.000 Organspender:innen – also 1 von 1.000 Todesfällen.
Jüngere Verstorbene (16–54 Jahre) haben dabei die höchste Spenderwahrscheinlichkeit, aber auch ältere Spender:innen leisten absolut betrachtet weiterhin einen relevanten Beitrag.
Deutlich wurden auch die Unterschiede zwischen Regionen und Kliniken:
- Die DSO-Region Ost (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) liegt an der Spitze,
- Baden-Württemberg ist in allen Altersgruppen überdurchschnittlich,
- andere Regionen – u. a. NRW – bleiben deutlich zurück.
Die Richtlinie zur Spendererkennung der Bundesärztekammer wirkt: Fälle, in denen Therapien begrenzt werden, ohne Organspende überhaupt anzusprechen, sind rückläufig. Gleichzeitig nimmt aber die Zahl der Fälle zu, in denen die Therapie beendet wird, bevor ein möglicher Hirnfunktionsausfall überhaupt erreicht und geprüft wird – ein Punkt, der weitere Diskussion braucht.
Positiv: 2025 beteiligen sich mehr kleinere Kliniken ohne Neurochirurgie aktiv an der Organspende – sie sind ein wesentlicher Treiber der gestiegenen Spenderzahlen.
Dokumentierter Wille: Immer noch der große blinde Fleck
Ein zentrales Problem zieht sich durch alle Vorträge:
- Nur rund 15 % der Verstorbenen haben ihren Willen zur Organspende schriftlich dokumentiert.
- In etwa zwei Drittel der Fälle entscheiden die Angehörigen – häufig unter großem Druck.
- Treffen Angehörige ihre Entscheidung ausschließlich nach eigenen Wertvorstellungen, lautet die Antwort in rund 80 % der Fälle „Nein“.
Das neue Organ- und Gewebespenderegister ist ein wichtiger Schritt, weil der Wille dort zuverlässig auffindbar ist – sowohl Zustimmung als auch möglicher Widerspruch. Die aktuelle Dynamik zeigt aber: Allein das Register wird kein Durchbruch für die Spendezahlen sein, sondern ist nur ein Baustein in einem größeren Gesamtpaket.
Maschinenperfusion
Thomas Biet (kaufmännischer Vorstand der DSO) stellte das aktuell größte DSO-Projekt vor: die bundesweite Einführung der Maschinenperfusion, zunächst vor allem für Nieren mit erweiterten Spenderkriterien.
Startkonfiguration:
- 8 Standorte,
- 30 Maschinen, erweiterbar auf bis zu 50.
Vor dem Hintergrund eines älter werdenden Spenderkollektivs (medianes Spenderalter ca. 60 Jahre, steigender BMI) ist Maschinenperfusion ein strategischer Schlüssel, um die Organqualität zu sichern. Neue 10-Jahres-Daten zeigen Vorteile insbesondere bei „extended criteria“-Organen – parallel dazu verpflichten die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Perfusion erweiterter Spenderorgane.
Best Practice: Digitale Tools, klare Prozesse, starke Teams
In mehreren Beiträgen wurde deutlich, dass konkrete Maßnahmen in den Kliniken einen messbaren Unterschied machen:
- Hamburg, Asklepios Klinik St. Georg (Dr. Christoph Rosenthal)
Digitales Screening (Detect) durchforstet die Intensivdaten nach möglichen Spender:innen und informiert die Transplantationsbeauftragten automatisch. Ergebnis: Hunderte automatisierte Hinweise, daraus über 100 organspende-bezogene Kontakte – Fälle, die ohne digitales Tool teilweise gar nicht oder zu spät erkannt worden wären. - LMU Klinikum München (Dr. Thomas Weig)
Nach einer kritischen Analyse der eigenen Schwachstellen setzte das Team auf digitale Früherkennung, Schulungen, klare Konzepte für Patienten mit hypoxischer Hirnschädigung und eine saubere Prozessarchitektur. Die Spenderzahl hat sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt (von 7 auf 15) – trotz hoher Grundauslastung. - Klinikum Oldenburg (Markus Gerke)
Hier wurde die Rolle der pflegerischen Transplantationsbeauftragten konsequent ausgebaut. Qualifizierte Intensivpflegekräfte arbeiten gleichberechtigt mit ärztlichen TXB zusammen, begleiten Prozesse, schulen Teams, evaluieren jeden Spendeprozess und engagieren sich in der Öffentlichkeitsarbeit. Gerke macht deutlich: Multiprofessionelle TXB-Teams sind kein „Nice-to-have“, sondern ein Qualitätsfaktor – und die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür sind in Deutschland noch immer uneinheitlich.
Was heißt das für uns?
Der Kongress zeigt deutlich:
- Die Trendkurve der Organspende in Deutschland geht nach oben,
- die Wartezeit für viele Patient:innen bleibt trotzdem kritisch,
- und wir sind noch weit von einer Situation entfernt, in der Organspende wirklich zur Routine geworden ist.
Für uns als Betroffene und Angehörige bedeutet das zweierlei:
- Wir brauchen weiterhin stabile politische Rahmenbedingungen (z.B. eine Wiederspruchsregelung, die Möglichkeit der Organspende nach kontrolliertem Herz-Kreislauf-Tod), klare Krankenhausstrukturen und Investitionen in Technik, Digitalisierung und Teams
- ALLE können einen Beitrag leisten, indem der eigene Wille zur Organspende klar dokumentiert und im persönlichen Umfeld besprochen wird.
Die Botschaft aus Würzburg lässt sich auf einen Satz verdichten:
Es bewegt sich etwas – aber damit aus Hoffnung reale Chancen auf ein Spenderorgan werden, müssen Politik, Kliniken und Gesellschaft jetzt konsequent nachlegen.
Sandra Zumpfe, November 2025

